Spiegelbild
Eine
phantastische Liebesgeschichte
von Bernd Pol
.Du., sagte auf der Brücke der Mann.
.Hmm?. sagte die Frau und lehnte
sich über das Geländer, den
Fluss
zu begrüßen.
.Du., sagte der Mann.
.Ja., sagte sie.
Ein
alter Angler warf seine Angel aus. Einen Augenblick hatte sie
den
Wunsch, in die Kreise auf dem dunklen Wasser zu spucken.
Aber
es reichte nicht. Er war zu weit weg. Ersatzweise spuckte sie
auf
ihr Spiegelbild unter der Brücke. Das spuckte zurück und grinste,
kurz
bevor die Tropfen sich beide auf halbem Weg trafen. Dann
tauchte es im Gekräusel
unter.
.Du., sagte der Mann.
.Ja., sagte die Frau und richtete sich auf. .Genau..
.Genau
was?.
.Genau
das..
Dann
gab sie ihm einen raschen Kuss. Und sprang über das
Geländer,
ihrem Spiegelbild entgegen, das die Arme ausgebreitet
hatte und ihr stumm entgegen jubelte.
Die
Brücke war keine Brücke, höchstens ein Steg. Und der Fluss war
auch
kein Fluss, nur ein schmaler Kanal mit schwarzem Wasser,
durch das hin und wieder winzige
Frachtkähne tuckerten, nicht
viele,
ein Dutzend am Tag vielleicht, wenn es hoch kommt. (Aber
die werden erst später wichtig.)
Der
Angler half ihr aufs Ufer hinauf. Ohne ein Wort, er war sauer,
was verständlich ist, wenn da mitten im
Fisch jemand ins Wasser
fällt und nicht einmal ertrinkt, sondern
lacht und kreischt und nicht
gerettet werden will.
Sie
warf sich auf den Rücken auf der Uferschräge und breitete die
Arme
aus und fing die Sonne ein.
.Ich
hab Wasser geschluckt., brummte sie, als der Mann sich
über
sie beugte. .Muss ich jetzt sterben?.
Dann
riss sie ihn um, weil er so bestürzt dreinschaute.
Der
Angler half auch ihm wieder aufs Ufer hinauf und hob die
Augenbrauen
und deuete mit dem Kopf zu ihr hinüber und ließ den
Zeigefinger
über die Schläfe kreisen. Dazu brummte er etwas.
.Aber
nicht doch., sagte der Mann. .Die ist immer so..
Der
Angler zuckte mit den Achseln und drehte ihm den Rücken.
Dann
warf er die Angel wieder aus.
.Es
gibt keine Fische hier!. rief
die Frau. .Ich hab es genau
gesehen..
.Trotzdem!.
knurrte der Angler.
Dann
versank er in sich und war nicht mehr da.
.Da
siehst du.s!. erklärte die Frau.
.Ja., sagte der Mann.
Er
hätte sie gerne in die Arme genommen. Doch sie war zu nass.
Und
er auch.
.Mir
ist kalt., sagte sie, .ich erfriere bald..
.Dann
erfrieren wir gemeinsam..
.Oh
ja! Wie Himbeereis mit Sahne..
.Und
wo ist die Sahne?.
.Obendrauf..
.Ja?.
sagte er. .Wo?.
.Hier., sagte sie, .überall..
.So?.
sagte er. .Wie?.
.Wirst
du schon noch sehen..
Dann
verschwand sie und warf ihre nassen Sachen über die Büsche
beim Steg und wollte gewärmt werden.
Hinter den Büschen.
.Mit
Sahne?. fragte er.
.Mit
Sahne!. sagte sie. .Aber natürlich..
Und
der Angler angelte und warf Kreise auf das Wasser, die sich ihr
Spiegelbild einfingen, das sehr glücklich
aussah.
.Du., sagte der Mann.
.Ja?.
sagte die Frau und winkte ihrem Spiegelbild zu.
.Es
ist schön., sagte der Mann.
.Ist
es schön?. sagte die Frau.
.Immer!.
sagte der Mann.
.Ach!.
sagte die Frau. .Ja, und wenn ..
.Und
wenn?.
.Nichts., sagte die Frau und warf ihrem Spiegelbild einen
Kuss zu.
Doch
der Wind fing den Kuss, bevor er unten ankam. Und das
Spiegelbild
tauchte zum Angler hinüber.
.Wärst
du eifersüchtig?. fragte die Frau.
.Auf
wen?.
.Auf
alle., sagte die Frau. .Oder auf den da..
.Wieso?
Ist er dein Typ?.
Die
Frau legte die Hand über die Augen. Es war ein alter Angler.
Und
unrasiert.
.Nein..
sagte die Frau.
.Dann
ja., sagte der Mann.
.Und
sonst?.
.Immer!.
sagte der Mann. .Auf jeden..
Dann
nahm er sie in die Arme und küsste sie lange.
Der
Angler angelte. Da tuckerte ein Schiff vorbei. Und der Angler
zog die Angel ein und war böse. Das
Schiff merkte nichts davon und
tuckerte langsam weiter. Eine junge Frau saß
an Deck und spielte
mit
einem kleinen Mädchen.
Das
Mädchen warf einen Ball. Der fiel ins Wasser. Gerade unter der
Brücke.
Und
das Mädchen weinte.
.Hol
ihn!. sagte die Frau.
.Wie
denn?. sagte der Mann. .Ich kann nicht schwimmen..
.Spring!.
sagte die Frau.
.Nein., sagte der Mann. .Ich kann nicht..
.Dann
liebst du mich nicht., sagte die Frau. .Spring!.
Da
hatte der Angler den Ball schon aus dem Wasser gefischt und
hielt ihn un-schlüssig in der Hand.
Auf
dem Schiff hatte jemand den Motor gedrosselt. Es trieb langsam
zum
Ufer hin.
Der
Angler stand immer noch am Wasser. Dann warf er den Ball zur
Brücke
hinauf.
Die
Frau fing den Ball.
.So
geht das., erklärte sie. .Und du bist ein Feigling..
Und
sie rannte fort, auf den Damm, dem Schiff zu.
Das
trieb dem Ufer immer näher. Das Mädchen weinte nicht
mehr
und wartete auf den Ball.
Doch
der fiel zu kurz. Und das Mädchen weinte wieder.
Da
sprang der Mann.
.Nein!.
schrie die Frau.
Aber
da schwamm der Mann. Und er bekam den Ball. Und er paddelte
zum Schiff und die junge Frau warf ihm
eine Leiter zu und er
stieg hinauf. Und der Mann küsste die
junge Frau auf dem Schiff.
Und
jemand schaltete den Motor wieder ein. Und das Schiff nahm
Fahrt
auf.
Und
der Mann verschwand in der Kabine. Mit der jungen Frau.
Das
Mädchen kletterte ins Ruderhaus und winkte.
Die
Frau winkte zu dem Schiff hinunter. Dann wartete sie, dass das
Spiegelbild
wieder auftauchte.
Aber
es wollte nicht kommen. Es tauchte zum Schwimmer des
Anglers
und spielte mit den Fischen.
.Husch!.
rief die Frau. .Wirst du wohl!.
Das
verwirrte den Angler ein wenig. Er war eingenickt und hatte
nichts von alledem bemerkt.
.Wie
belieben?.
.Ach
nichts., rief die Frau hinüber, .Sie fangen nur gerade
mein
Spiegelbild..
.Es
verscheucht ihnen die Fische., ergänzte der Mann.
.Ach
so., brummte der Angler und zog das Spiegelbild an Land.
Dort
rollte er es sorgfältig auseinander und ließ es in der Sonne
trocknen.
Es
bleichte ein wenig aus dabei, wirkte ansonsten aber recht lustig.
Die
Frau jedoch war traurig geworden. Und dann begann sie zu
leise zu weinen.
.Was
mach ich nun?. schluchzte
sie. .Das halbe Leben hab ich jetzt
verloren. Morgen sterbe ich. Oder am dritten
Tag..
Der
Mann nahm sie sanft in den Arm. Und er strich ihr über das
Haar.
Und er knabberte ein wenig an ihrem Nacken.
.Das
ist nicht schlimm.. flüsterte
er. .Wir werden gemeinsam
sterben..
.Wann?.
hauchte sie zurück.
.Heute.
Und morgen..
.Und
am dritten Tag?.
.Und
an jedem dritten Tag..
Und
sie winkten dem Spiegelbild noch nach, als sie gingen.
Am
Kanalende fiel die Sonne ins Wasser und verzischte
glutrot.
Der
Angler packte sein Zeug zusammen.
Gefangen
hatte er nichts.
Es
gab keine Fische im Kanal.
Das
Spiegelbild aber hängte er zuhause im Schlafzimmer auf. Dort
besuchte es ihn an jedem Vollmond.
Und
es war schön. Überall.
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© Bernd Pol 1994
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